Montag, 23. November 2009
Windows-Killer Chrome OS?
Die letzten Tage ging ja mal wieder ein ziemliches Rauschen durch den Blätterwald und auch das ZDF brachte in der Heute-Redaktion einen Beitrag zu Chrome OS. Windows-Killer, ultimative Lösung für die Zukunft, oder auch "Untergang des Datenschutzes", sind die Synonyme, die mit Chrome OS verbunden werden.

Ein Blick "ins Glas"

Angesichts dieses Hypes war es für mich natürlich das Naheliegende, selbst einen Blick auf Chrome OS zu werfen. Seit der Quellcode freigegeben wurde, kann sich jeder unter Ubuntu ein eigenes Image erstellen und es gibt zwischenzeitlich einige fertige Builds (auch als virtuelle Maschinen). Der Boot dieses "Windows-Killers" war dann doch mehr als ernüchternd. Nach etwas zähem Start erscheint eine Anmeldeseite, in dem der Anwender seine Google-Kontendaten eintippen darf. Anschließend kommt er zur Tab-orientierten Benutzeroberfläche, auf der sich ein paar Google-Apps samt Chrome-Browser tummeln.

Ernüchterung stampe pede

Nett, wenn man seine Termine mit Google verwaltet, mit Chrome surfen mag und auch mal auf soziale Netzwerke und Google Mail zugreifen mag. Aber an dieser Stelle habe ich mich spontan gefragt: Was soll das? Ein Linux-Kern, auf dem ein Chrome-Browser mit ein paar Google-Apps läuft. Das mag zwar zukünftig für ein paar Low End-Geräte Sinn machen - aber "Windows-Killer", darunter verstehe ich etwas anderes.

Betriebssystem, kommt auf die Definition an

Bei Windows wird als "Betriebssystem" von vielen Anwendern das gesamte Produkt verstanden. Bei Linux wird aber lediglich der Kernel als Betriebssystem verstanden - der vom Endanwenderstandpunkt so sexy wie ein Laternenpfahl ist. Dazu kommen noch Kernelmodule, um Hardware anzusprechen sowie Funktionen zur Implementierung eines Dateisystems. Alles andere, was der Benutzer sieht, sind letztendlich nur die (austauschbare) GUI sowie die Anwendungen. Wer also von Chrome OS spricht, hat formal (aus Linux-Sicht) recht - es handelt sich um ein Betriebssystem mit GUI. Aber ich habe so meine Zweifel, wie es mit dem "Windows-Killer" aussieht. Es gibt einen Linux-Kernel und dann einen grafischen Aufsatz in Art von Google Chrome als Browser. Nicht mehr und nicht weniger. Google setzt auf die OpenSource-Community, um Anpassungen für Geräte in Form von Kernelmodulen zu schreiben. Aber daraus wird wohl kaum eine neue Linux-Distribution - geschweige denn, ein Windows-Ersatz. Es mag sein, dass findige Bastler Erweiterungen schreiben, um mit apt-get, synaptic oder was auch immer, weitere Anwendungen installieren zu können. Aber standardmäßig wird Chrome OS nur "out-of-the-box" Module samt den von Google bereitgestellten Web-Anwendungen enthalten. Wer also ein "Betriebssystem" braucht und von Windows oder Mac OS X unabhängiger sein will, muss sich nach anderen Lösungen umsehen. Da wäre es in meinen Augen ggf. sinnvoller, direkt auf Ubuntu oder meinetwegen auch Moblin zu setzen. Aber gerade bei Linux habe ich es in 2008 bei den Netbooks gesehen, dass sich der gemeine User (und gelegentlich auch meine Wenigkeit) ziemlich schwer tut, neue Kernelmodule auf Terminalebene einzubinden - dies gilt speziell, wenn die Module vorher selbst zu kompilieren sind (dachte eigentlich, so 1985 dass ich dieses Thema abgehakt hätte). Ist wohl auch der Grund, warum Linux bei Desktop-Systemen so bei 1-2 % Marktanteil rumdümpelt. Vielleicht hat der Erfolg von Windows auch etwas damit zu tun, dass Treiber für diverse Geräte oder Anwendungen zwischenzeitlich von Hintz und Kuntz installiert werden können. Und trotz aller Unkenrufe, das Ganze funktioniert unter Windows ziemlich gut - was ich von manchen Linux-Distris, die die letzten 2 Jahren durch meine Finger gegangen sind, nicht unbedingt behaupten mag. Aber, wenn ich das Ganze richtig verstanden habe, will Chrome OS das Ganze gar nicht leisten, da Web-Applikationen ein ganz bestimmtes Anwendungspektrum abdecken.

Und die Anwendungsseite?

Bleibt noch die Anwendungsseite. Gut, zukünftig wird ggf. das mobile Arbeiten unsere Art, wie Daten abgelegt werden, verändern. Die Kanalisierung der Kommunikationskanäle (Mail, Social Network-Kontakte etc.) wird hier Neuerungen bringen (Stichwort Google Wave und Pendants). Aber möchte und werde ich meine Filme auf einem Smartphone mit ARM-Prozessor und 480x320 Pixel-Display schneiden oder Fotos bearbeiten? Soll das Teil zum Entwickeln von Software oder als Büro zum Schreiben meiner Bücher herhalten? Der Erfolg der Windows- (und auch Mac OS X-) Plattform rührt ja gerade daher, dass der Anwender das System leicht um Hard- und Softwarefunktionen erweitern kann - ohne gleich zum Entwickler zu mutieren. Auch wenn wir im Geschäftsbereich eine Art Revival erleben, bei dem Daten und Anwendungen auf Server (meinetwegen später auch "in-the-cloud") verlagert werden, behaupte ich mal, dass dies auch in einigen Jahren nur für bestimmte Einsatzszenarien funktioniert. Ich erinnere mich noch an die Bestrebungen, Ende der 80er Jahre, als die Anwender möglichst vom Rechenzentrum mit den ganzen Bevormundungen weg, hin zu individuellen Lösungen auf den damal aufkommenden PCs wollten.

Meine 2 cents

Eine kleine Extension für Google Chrome für jedem zum Ausprobieren, was Google Chome OS auf der Oberfläche bietet, hätte jedem die Chance zur Evaluierung geboten und das "Rauschen im Blätterwald" erspart. Aber ich kann ja Google verstehen, neues muss "sexy" rüberkommen und die Presse soll angefüttert werden. Also, was bleibt unter dem Strich? Chrome OS ist mehr oder weniger eine Plattform, um Web-Anwendungen unter "einer Haube" zusammenzufassen und Daten bei Google-Diensten zu führen. Damit das Ganze später noch auf Billig-Hardware läuft, wurde noch ein Linux-Kern unter den Chrome Browser gepflanzt. Und ob mobiles Arbeiten zukünftig 80% der Arbeit im Alltag ausmacht - na, da habe ich meine Zweifel. Was heute vielleicht 10 % meiner Arbeit am Rechner ausmacht (nämlich Datenkommunikation), könnte zukünftig vielleicht auf 20% zunehmen. Aber braucht es wirklich mehr? Es mag zwar sein, dass Menschen ihre "rund-um-die-Uhr-an-jedem-Ort-erreichbar-sei" Bereitschaft als wichtig, bedeutend, gebraucht werden, unabkömmlich sein, einstufen. Aber unter dem Strich - irgendwann muss auch produktiv gearbeitet werden - andernfalls kommunizieren wir uns zu Tode. Und in diesem Kontext sehe ich es so: Netter Ansatz um mit Web-Anwendungen zu arbeiten. Es wird sicher auch Geräte geben, die so etwas "ready-in-the-box" verpacken. Ob ich aber meine Daten bei Google, oder Microsoft oder einem der anderen global Player hinterlegen mag - ich weiß ja nicht ....
Nachträge: Zufällig bin ich dann auf den ZDNET-Artikel hier http://www.zdnet.de/technik_blog_fuer_unternehmen_chrome_os_
laesst_anwender_vor_dummen_terminals_sitzen_story-39002372-41523234-1.htm gestoßen, der das Ganze ziemlich auf den Punkt bringt. [Update: Auch bei Heise.de findet sich dieser Artikel http://www.heise.de/newsticker/meldung/Chrome-OS-Der-Windows-Killer-faellt-aus-865967.html - in dem die Kollegen zu ähnlichen Ergebnissen kommen.]
Günter Born www.borncity.de the source of fine computer books, because technology counts!